Wer schubst dich ins kalte Wasser?
Vergangenen Frühling verbrachte ich ein paar Tage mit meinen beiden Nichten auf dem Hausboot. Obwohl wir alle gern lange schlafen, waren wir doch bereits recht früh auf den Beinen. Die Morgenluft war kühl.
Die ältere meiner Nichten, Tami, war bereits ihre Runde ums Boot geschwommen. Die jüngere, Emma, stand immer noch am Bootsrand und rang mit sich: So gerne wollte sie ins Wasser, doch schien es auch ihr deutlich zu kalt zu sein.
Ich für meinen Teil hatte das Baden an jenem Morgen bereits abgeschrieben und mir lieber einen Tee gekocht: Mein Geist hatte längst beschlossen, dass es mir ohnehin zu kalt sein würde und dies schien in meiner Welt unverrückbar zu sein 🙂
Nach einer Weile des: “Oh ich möchte so gerne und ich trau mich nicht, es ist soooooo kalt!” rufens, wartete Emma zu unserer Verblüffung mit einer neuen Strategie auf.
Sie rief: “Tami, ich trau mich nicht! Es ist so kalt, du musst mich reinschubsen!” Tami sah mich daraufhin mindestens so überrascht an, wie ich sie und nachdem Emma noch einige Male dasselbe rief, erhielt sie den ersehnten Schubser.
Das Kreischen, freudige Juchzen und “oh ist das kalt!” Rufen nach dem lauten Platschen des Wassers steckte uns alle mit Lebendigkeit an und ich war schlichtweg begeistert von Emmas wilder Entschlossenheit, dem Wasserrattinnen-Anteil in ihr einen Weg zu bahnen!
Ich find es zudem eine wunderbare Metapher für alles Mögliche in unserem Leben, was wir so gern wagen wollen und uns allein dann doch nicht trauen, wo wir gerne jemanden in der Nähe hätten, der oder die uns einen Schubser geben könnte … manchmal auch einfach einen Schubser, um erst einmal zu erkennen, was genau das denn sein könnte, was mein Herze wagen will?
ANREGUNG: Sinniere doch einmal über die Frage nach: Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte? Und auch über diese: Was macht mich wirklich glücklich? Lass alles auftauchen und halte alles schriftlich fest … dies sind alles Hinweise auf das Sehnen in deinem Herzen …
Ich hör gerade immer wieder von Menschen, die bereits mehrere Dekaden auf diesem Planeten wandeln, das sie am Suchen sind, nach dem Sehnen, das noch gelebt werden will …
In einer einfühlsamen und ermunternden Gruppe fällt es oft leichter diesem auf die Spur zu kommen, sich gegenseitig zu inspirieren und für einander Mut-Kumpels & Kumpelinnen zu sein.
Dafür gibt es auch Online in Gemeinschaft viele verschiedene Formen.
Trägst du auch diese Stoppersocken?
Neulich stiess ich auf ein Buch, dessen Autor ich vorher gar nicht kannte. Kunststück: Ich hab keinen Fernseher und halte mich auch sonst der so genannten Unterhaltungsindustrie eher fern. Daher war mir entgangen, dass der junge Mann da neben mir auf dem Boot, der sich so empathisch und offen mit meiner Nichte über ihren Frust über Schule und Lehrerschaft unterhielt, ein wohl ziemlich bekannter Comedian aus dem Fernsehen ist.
Aufmerksam wurde ich, als sich jemand von ihm mit den Worten verabschiedete: “Wenn die Bühnen wieder auf sind, dann kommen wir mal wieder in deine Vorstellung!” Kurz nachgefragt, recherchiert und festgestellt: Bastian Bielendorfer war das also.
Neugierig ließ ich mir sein aktuelles Buch schenken “Das Corona Tagebuch” – wollte mal sehen, wie ein Comedian diese Zeit erlebt hat und hoffte seine Erfahrung sprachlich so verpackt zu lesen, dass ich zur Entspannung viel Lachen kann.
So richtig gefunkt hat es zwischen mir und Bastians Humor nicht. Könnte am Thema liegen: Da scheiden sich die ja gerade die Geister, wie viel Humor in Zeiten wie diesen erlaubt ist. Vielleicht hat er sich daher einfach etwas mit seinem Comedian Talent zurückgehalten – wer weiss …
Ein Satz sprach mich jedoch voll an:
Wir Deutschen sind ein Volk,
dass die Stoppersocken für seine
Gefühle erfunden hat.
Bei diesem Bild musste ich dann doch herzhaft lachen.
Ich selbst beschreibe es – bewusst verallgemeinernd – oft so:
“Wir halten uns von unseren Gefühlen eher fern und drücken sie – wenn überhaupt – tendenziell eher schmallippig, angreifend oder vorwurfsvoll aus, je länger wir in der Kategorie Erwachsene durchs Leben gehen.”
Möglicherweise aus Sorge nicht wie ein Dampfkessel zu explodieren, wenn es eigentlich gerade in uns tobt oder fast noch schlimmer: Vor überschwänglicher Lebensfreude aus der Reihe zu tanzen. Oder kennst du diese Angst: In Trauer zu versinken, wenn ich die Tränen zulasse und wenn dann noch jemand dabei ist gar eine Zumutung zu sein? Oft gesehen und selbst in mir erlebt …
Was, wenn wir an dieser Stelle kollektiv fehlprogrammiert sind? Ich meine all jene von uns, die eine Gewohnheit haben, Gefühle zu unterdrücken, zu betäuben oder rauszuschleudern? Was, wenn das Geheimnis darin liegt, die lebendigen Gefühle in mir wahrzunehmen, zu fühlen und sie sich ihrer Natur gemäß wandeln zu lassen? Sie sind ja vom Leben einfach als Energie in Bewegung gedacht ..
Und zwar in einem Tempo und einer Intensität, die nicht in unserer Hand liegen und die häufig ganz anders ausschaut als unser ängstlicher Geist es sich ausmalt.
In Zeiten wie diesen haben diejenigen unter uns, die noch etwas mit Gefühlen als einer intelligenten Form des Lebens und einer wichtigen Form der Bedeutungsgebung hadern, ausreichend Gelegenheiten, uns mit ihnen bekannt zu machen.
Das ist auch allerhöchste Eisenbahn, wenn man bedenkt, dass nicht wahrgenommene Gefühle uns gut 70% unserer Lebensenergie rauben und an der Wurzel vieler körperlicher Leiden liegen.
Seit November war ich mit über 100 Leuten auf der Expedition Gefühl, vom Denken ins Spüren. Für mehr Lebensenergie, innere Freiheit und Lebendigkeit.
Magst auch du dir die Zeit nehmen, deine Beziehung zu deinen Gefühlen, deinen Wegweisern zu deinen Bedürfnissen zu überprüfen und zu vertiefen? Dann komm mit auf die Reise!
21-Tage im Mai erhältst du E-Mails mit Anregungen und Übungen, drei Mal treffen wir uns für je eine Stunde im Zoom zum gemeinsamen Üben. Die nächste Reise beginnt jetzt am 28. Mai.
Was Konflikte zu etwas Besonderem werden lässt …
Wir brauchen uns nicht weiter
vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen
mit uns selbst und anderen fürchten,
denn sogar Sterne knallen
manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich: Das ist das Leben!
Charlie Chaplin
Insbesondere in Konfliktsituationen hilft es mir, mich an eine der Grundannahmen der Gewaltfreien Kommunikation zu erinnern:
Alles, was jemand sagt oder tut, ist IMMER ein Versuch die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen. Menschen handeln immer für ihre eigenen Bedürfnisse und nie gegen andere.
Zugegeben, diese Annahme hilft mir dann nicht zwingend, mein Gegenüber sofort in den eigentlichen Absichten zu erkennen und zu verstehen und auch nicht dabei, die Situation in Null-Komma-Nix in eine Begegnung zu verwandeln.
Zumindest jedoch kann mir diese Erinnerung dabei helfen, meine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was der/die andere mir eigentlich von sich mitzuteilen versucht.
Oder ich wähle dadurch eher, meine Aufmerksamkeit auf mein aufgewühltes Innenleben in Reaktion auf das von mir Verstandene (was nicht immer gleichbedeutend mit dem tatsächlich Gesagten ist!!!) zu legen: Dadurch finde ich dann vielleicht eher meinen nächsten Impuls, der verbindungsstiftend wirken kann, statt meine Energie im überlieferten Spiel von “Angriff-Gegenangriff/Vorwurfswettbewerb/ich-hab-Recht-und-du-ja-wohl-nicht!” zu verschwenden.
Letzteres raubt nicht nur allen Beteiligten Energie, sondern erschwert auch meistens ein Zusammenkommen im Dialog oder verhindert diesen gar ganz, weil es zum Kontaktabbruch kommt.
Die Fragen, von denen ich mich in schwierigen Gesprächen gern leiten lasse, sind:
Was brauche ich, um in einen entspannteren Kontakt mit meinem Gegenüber zu gelangen?
(z.B. Unterstützung beim Verstehen des Gegenübers, Raum für meine Sichtweise/mein Erleben, Vertrauen, dass uns beiden an einer Klärung gelegen ist und beide aufrichtig voneinander hören wollen …)
Wie soll das geschehen?
Worum will ich mich oder mein Gegenüber bitten?
(z.B. “Ich möchte wirklich gern verstehen, worum es dir geht und bin gerade unsicher, ob mir das gelingt. Kann ich erst mal wiedergeben, was ich gerade von dir verstanden habe und du sagst mir dann, ob du das überhaupt so meintest?”
ODER
“Mir ist wichtig, dass wir uns gegenseitig zuhören und verstehen, in dem, was jedem von uns gerade wichtig ist. Können wir das mal kurz so machen: Du erzählst mir jetzt drei Minuten la
deine Sicht, ich höre dir zu ohne zu unterbrechen und dann erzähle ich dir meine Sicht drei Minuten lang und du hörst ohne Unterbrechung zu? Vielleicht finden wir dadurch einen anderen Weg in die Verständigung. Einverstanden?”)
Sich in Auseinandersetzungen vom Leitstern des “gegenseitigen Verstehen wollens” (nicht zu verwechseln mit “einverstanden sein” ;-)) leiten zu lassen, kann oft Türen für tiefere Beziehungen öffnen, mehr emotionale Sicherheit für alle Beteiligten und ein wohligeres Gemeinschaftsgefühl entstehen.
Und vielleicht magst du dich bei deiner nächsten Auseinandersetzung auch einfach an die Zeile von Charlie Chaplin erinnern und dich dabei neugierig auf die Entdeckung des noch Unbekannten begeben:
“Sogar Sterne knallen manchmal aufeinander und es entstehen neue Welten.”
Ich muss jetzt los: Am Wochenende knallten mein Stern und der Stern meiner Schwester aufeinander, der Stern meiner 14-jährigen Nicht war auch involviert. Nun wollen wir schauen, welche neuen Welten in diesem Sternengestirn entstehen können. 🙂
Ich wünsche dir einen schönen Tag!
Artikel
In der Februar 2017 Ausgabe der Empathischen Zeit mit dem Ausgaben-Thema “Dankbarkeit” veröffentlichte ich einen Artikel: Die Engel im Alltagsleben
Entlassen in die Welt – empfangen in Empathie erschienen im Buch “Und plötzlich öffnete sich eine Tür: GFK Erfolgsgeschichten …” – Hier beschreibe ich meine erste Begegnung mit dem jungen Norweger aus dem Dokumentarfilm Beyond Punishment, der seine Freundin erschossen hatte.
Begleiteter Dialog: Der Weg ist das Ziel Artikel erschienen im Magazin der Mediator – In diesem Artikel schreibe ich über meine Begleitung als Mediatorin des norwegischen Vaters im Dokumentarfilm Beyond Punsihment.
In der Empathischen Zeit 1/2016 können sie etwas über meine Arbeit mit Kathleen Pequeno erfahren, deren Bruder 1985 in Deutschland von Mitgliedern der RAF ermordet wurde. Kathleen hat in ihrem Verarbeitungsprozess den Weg der Transformation eingeschlagen: vom starken Feindbild weg hin zu einem aufeinander zugehen, einander verstehen wollen und die gemeinsame Menschlichkeit wieder entdecken. Am Tag nach den Anschlägen in Paris begleitete ich Kathleen in einem Dialog mit einem ehemaligen RAF Mitglied. Diese Begegnung inspirierte einen Blog Artikel von Kathleen (Englisch).
Die Magie des Kreises: Drei Tage im Hochsicherheitsgefängnis in den USA im Kreise von 50 Menschen – für Heilung und gegenseitige Empathie.